Landgericht Lübeck: Freispruch nach illegalem Erwerb von Cannabis für medizinische Zwecke
Auf seiner Facebook-Seite hat das Landgericht Lübeck am 31. Mai 2022 Informationen zu seinem Urteil im Falle eines Patienten und seines Vaters wegen des Vorwurfs des illegalen Erwerbs von Cannabis veröffentlicht.
Medizinisch gerechtfertigter Besitz von Marihuana?
Das Landgericht Lübeck hat zwei Männer – Vater und Sohn – freigesprochen, die Cannabis zur Linderung einer schweren Erkrankung bezogen hatten.
Mit Urteil vom 21. April 2022 hat das Landgericht ein Urteil des Amtsgerichts aufgehoben, mit dem die Angeklagten jeweils des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen schuldig gesprochen worden waren. Das Amtsgericht hatte jeweils eine Geldstrafe verhängt. Das Landgericht hat die beiden Männer in der zweiten Instanz freigesprochen, weil der von ihnen eingeräumte Besitz von Marihuana wegen Notstandes gemäß § 34 StGB gerechtfertigt gewesen sei.
Das Landgericht ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen:
Der eine der beiden Angeklagten leidet an einer Erkrankung, die mit schweren Spastiken – also Verkrampfungen – von Armen und Beinen einhergeht. Der andere Angeklagte ist dessen Vater und pflegt seinen Sohn. Zur Behandlung erhielt dieser unter anderem Medizinalcannabis. Hierdurch sollten die Spastiken gelöst werden. Das dem Sohn verschriebene Cannabis reichte zur Behandlung allerdings nicht aus. Die Verschreibung einer höheren Dosis war nicht zulässig. Der angeklagte Vater besorgte deshalb über eine Freundin für seinen Sohn in sechs Fällen jeweils 100 g Marihuana. Der Erkrankte konsumierte das Betäubungsmittel zusätzlich zu den ihm verschriebenen Medikamenten zur Linderung seines Leidens.
Die Strafkammer hat den nach § 29a BtMG grundsätzlich strafbaren Besitz des beschafften Marihuanas als gerechtfertigt angesehen. Es liege ein rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB vor. Die Verurteilung zu einer Strafe komme nach dieser Norm dann nicht in Betracht, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben vorliege und die Gefahr nicht anders als durch die Begehung der Tat abgewendet werden könne. Erforderlich sei stets eine Abwägung zwischen dem verletzten und dem durch die Tat geschützten Rechtsgut. Diese Abwägung gehe zugunsten der Angeklagten aus.
Entscheidend sei, dass bei dem Sohn eine andere gleich wirksame Therapie nicht möglich sei. Zur erfolgreichen Behandlung der Spastiken müsse er sechs bis sieben Gramm Marihuana täglich konsumieren. Diesen Bedarf könne er nicht mit dem ihm verschriebenen Cannabis decken.
Der Annahme eines rechtfertigenden Notstands stehe es, anders als das Amtsgericht angenommen hatte, nicht entgegen, dass die Angeklagten jeweils einen gewissen Vorrat an Betäubungsmitteln vorhielten. Dies sei regelmäßig auch bei anderen Medikamenten der Fall. Der Vorrat habe jeweils für einen Monat gereicht, was keine „unübliche Hortung dieser Droge“ darstelle, „sondern vielmehr innerhalb einer therapeutischen Behandlungsdauer und vernünftigen Bevorratung wie auch bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln“ liege.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Az.: 3 Ns 713 Js 33549/19